Sonderforschungsbereich 536 „Reflexive Modernisierung“

Der zum 1. Juli 1999 bewilligte und bis zum 30. Juni 2009 laufende Sonderforschungsbereich 536 war ein interdisziplinär und interinstitutionell angelegter sozialwissenschaftlicher Forschungsverbund. An ihm waren Forschungsgruppen aus München und Augsburg mit soziologischen, sozialpsychologischen, politikwissenschaftlichen, historischen und philosophischen Kompetenzen beteiligt. Im Zentrum der gemeinsamen Forschungen des Sonderforschungsbereichs 536, dessen Sprecher Ulrich Beck war, stand die Frage, ob die Gesellschaften des 21. Jahrhunderts noch mit den Konzepten des 19. und 20. Jahrhunderts begriffen werden können, wenn durch den beschleunigten gesellschaftlichen Strukturwandel mit allen seinen Folgeerscheinungen und Nebenfolgen zunehmend die lange Zeit als „natürliche“ Basis der Moderne geltenden Denk- und Wirkungsweisen erodieren. Anders formuliert: Die Basisprinzipien, Grundunterscheidungen und Schlüsselinstitutionen moderner Gesellschaften lösen sich im Zuge radikaler Modernisierung von innen her auf.

Basisselbstverständlichkeiten moderner Gesellschaften

Zu den „Basisselbstverständlichkeiten“ moderner Gesellschaften gehören u.a. die Überzeugung endlos wachsender Naturbeherrschung und die damit verknüpften Konzepte des technischen und gesellschaftlichen Fortschritts, die Nationalstaatsfixierung der modernen Gesellschaft sowie nicht zuletzt die Idee der Vergesellschaftung über (Erwerbs)Arbeit und die spezifisch modernen Grenzziehungen zwischen Natur und Gesellschaft oder zwischen Individuum und Gruppe. Dass die in Wissenschaft, Politik, Ökonomie und Gesellschaft beobachtbaren Veränderungen als ein „Strukturbruch“ innerhalb der Moderne interpretiert werden können, wurde dann auch im Forschungsprogramm des SFB 536 als Übergang von der „Ersten“ zur „Zweiten“ Moderne oder von der „einfachen“ zur „reflexiven“ Modernisierung thematisiert.

These des Strukturbruchs

Die These des Strukturbruchs innerhalb der Moderne wurde in drei Analyseschritten angegangen: (a) Erstens ging es darum, an ausgewählten Beispielen die Effektivitätsverluste und Veränderungen der Basisinstitutionen der einfachen Moderne seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufzuzeigen. (b) Zweitens wurde geprüft, inwiefern sich zugleich neue Konzepte, Strukturen, Konfigurationen und Institutionen herausbildeten, die sich in ihrer Spezifik nur jenseits der eingeschliffenen Kategorien und Grenzziehungen der „einfachen“ Moderne begreifen und beschreiben lassen. (c) Drittens schließlich wurde untersucht, welche Auswirkungen dieser institutionelle Grundlagenwandel auf den Herrschaftscharakter moderner Gesellschaften hat.

Konzept des methodologischen Kosmopolitismus

Die Erforschung dieses breiten Spektrums von Strukturveränderungen, die alle auf eine Erosion der Basisinstitutionen der Ersten Moderne verweisen, erforderte nicht nur ein umfangreiches empirisches Forschungsprogramm, sondern auch neue Beobachtungskategorien und Bezugsrahmen, um die Frage nach der „Neuartigkeit“ des sozialen Wandels empirisch überhaupt erst bearbeitbar zu machen. Das Konzept des methodologischen Kosmopolitismus öffnete den sozialwissenschaftlichen Blick für historisch-neue Wirklichkeiten, Interdependenzen und Problemlagen, die außerhalb der Sichtverengungen des methodologischen Nationalismus in den Sozialwissenschaften und quer zu den internen Differenzierungen der einzelnen Fächer liegen. Das Arbeitsprogramm des SFB berücksichtigte dabei zwei zentrale Dimensionen des Kosmopolitismus:

  • eine methodologische Dimension: Kosmopolitismus als ein neuer Zugang zur globalisierten Welt, durch den überkommene Grenzziehungen von Innen und Außen überwunden werden können;
  • eine politische und historische Dimension: Kosmopolitismus als eine für die Zweite Moderne charakteristische Form des gesellschaftlichen Umgangs mit kultureller Andersheit, der Verarbeitung von Kontingenz und Unsicherheit.

Ungewissheit, Uneindeutigkeit, Unsicherheit

Das Grundphänomen des Strukturbruchs und die Rückkehr der Unsicherheit und Uneindeutigkeit in die moderne Gesellschaft wurden im Kontext des SFB 536 in verschiedenen Arbeitsbereichen analysiert. Hierbei wurden die Einzelprojekte drei Projektbereichen zugeordnet, die sich mit unterschiedlichen Aspekten der Uneindeutigkeit, Strukturdifferenzierung und Institutionenbildung beschäftigten: Projektbereich A: Politische Epistemologie der Ungewissheit: Wissen, Nicht-Wissen, Uneindeutigkeit; Projektbereich B: Politische Soziologie der Uneindeutigkeit: Soziale Lagen, Identitäten und deren Gestaltung; Projektbereich C: Politische Ökonomie der Unsicherheit: Institutionelle Entgrenzung und Restrukturierung.